Inside AFD. Der Bericht einer Aussteigerin

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„Eine Aussteigerin packt aus“: Ich war zwar interessiert, aber zunächst doch sehr skeptisch. Solche Berichte von Aussteigern können ja schnell auch zu einer emotionalen Generalabrechnung werden. Und auch auf den ersten Seiten, in der Einleitung, klingt es auch fast so:

„Beklommen treten (die liberalen Mitglieder) ihren Familien und Kollegen gegenüber, wenn (Björn Höcke) über den „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ räsoniert oder ein anderer Maulheld, André Poggenburg, während einer Klaumaukveranstaltung in einer „großen Halle bis oben hin gefüllt mit Patriotismus“ seine Verbalfäkalien absondert.“ 

Ganz ehrlich: Wäre das in dem Ton durchgegangen, hätte ich das Buch wohl weggelegt, auch wenn ich Franziska Schreiber inhaltlich da natürlich zustimme. Aber offenbar war es ihr wichtig, am Anfang absolut klarzustellen, dass sie mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen hat und die Taktik dieser Partei mittlerweile verachtet.

Nun erst einmal zur Autorin: Franziska Schreiber trat noch zu Lucke-Zeiten in die junge Partei ein, weil sie die Europa- und Wirtschaftspolitik der Regierung kritisch sah. Sicher war das damals noch eine andere Partei. Sie macht sich selber zum Vorwurf, nicht früher den Absprung geschafft zu haben, als die Partei immer weiter nach extrem rechts rutschte. Sie wurde schnell Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen und später Mitglied des Bundesvorstands. Sie gehörte zum Team von Frauke Petry und hatte dadurch tiefe Einblicke in die Vorgänge in der Partei, von denen sie in diesem Buch berichtet. Nach der Abwahl Petrys beim Parteitag in Köln trat sie zehn Tage vor der Bundestagswahl 2017 aus der Partei aus und warb dafür, die FDP zu wählen.

Sehr erhellend war für mich ihr Blick auf Ostdeutschland und die „Wiedervereinigung“ Deutschlands. Aus ihrer Sicht fühlten sich viele Ostdeutsche einfach nicht gefragt. Sie wurden einfach ans Gebiet des Grundgesetzes angeschlossen. Vielleicht hätte ja auch etwas Neues entstehen können? Eine Kritik, die ich schon damals als Jugendlicher teilte. Dass aber viele ehemalige DDR-Bürger quasi den ganzen Prozess immer noch nicht für abgeschlossen halten und nun eben gegen das „Regime“ der Bundesrepublik protestieren und sich da tatsächlich in einer Linie mit den friedlichen Demonstrationen sehen, die zum Ende der DDR führten – das war mir als „Wessi“ bisher nicht so klar:

„Niemand fragte die Ostdeutschen: Was wollt ihr eigentlich? Die Vereinigung ist über sie gekommen. Dabei hätte eine große Volksbefragung nicht nur Legitimation erzeugen, sondern einen Mythos bilden können, sie hätte die Geburtsstunde eines gemeinsamen, von der Mehrheit gewollten Staats sein können.“

In den folgenden Kapiteln beschreibt Schreiber ihren eigenen Weg in der Partei und ihre – aus ihrer heutigen Sicht viel zu langsame – Entfremdung von dieser Partei. Sie beschreibt, wie die AFD Schritt für Schritt immer weiter nach rechts rutschte, getrieben von der Basis, die jegliches Zögern und jede Kritik an zu extremen Positionen als Schwäche auslegte. 

Die Gruppe um Frauke Petry hatte zunächst die Macht in der Partei an sich gerissen, indem sie Luckes Kommunikationswege völlig zerstört hatte. Doch schon sehr bald, so beschreibt Schreiber die Situation, wurden sie zu Getriebenen, die immer extremere Äußerungen von sich geben mussten, um überhaupt an der Macht bleiben zu können – bis schließlich die Partei Petry in Köln die Gefolgschaft verweigerte.

Schreiber beschreibt Petrys und auch ihre eigene Arbeit als die des eher liberalen Flügels, der innerhalb des politischen Spektrums bleiben wollte. Gut, im Vergleich mit dem Rest der Partei mag das stimmen – ich selbst sehe auch Frauke Petry deutlich kritischer. Auch die „Guten“ in einer schlechten Partei sind eben nicht gut. Aber offenbar hatten sie immer noch Hoffnung, wieder zu der liberaleren, aber eurokritischen Partei zurückkehren zu können, die die AFD zumindest in der ersten Intention einmal war. 

Schreiber nennt viele Verbindungen zwischen AFD und NPD sowie anderen rechtsextremen und rechtsradikalen Gruppierungen und auch der Identitären Bewegung. Sie beschreibt das Taktieren haarscharf an der Grenze des rechtlich Sagbaren. 

„Unter denen, die für die Pressearbeit verantwortlich waren, gab es einen Wettbewerb, wer die polarisierendsten Formulierungen und Grafiken produzierte. Wer bringt die AfD in die Schlagzeilen? Wer trifft den provokantesten, gerade noch verfassungskonformen Ton? Wer erntet die lautesten Empörungsschreie? Es ging darum, ein Thema so auf die Spitze zu treiben, dass unsere Anhänger jubelten, die Presse sich maximal echauffierte, die gemäßigten Wählerschichten sich nicht abwandten und die Justiz keinen Anhaltspunkt fand.“

Dabei sind diese Äußerungen immer noch nur die Spitze des Eisbergs. Die wirklich radikalen und extremen Forderungen werden laut Schreiber bisher noch zurückgehalten.

„Die Antwort von Sven Tritschler auf zu offensive Forderungen war immer: Es ist noch nicht die politische Stunde. Wenn die Zeit reif ist und die Bürger bereit sind, dann ändern wir das. (…) Für Stammtischmitglieder ist damit gesagt: Wir haben das im Blick. Noch genügt das den wilden Radikalen. Wenn aber die Bewegung groß genug ist, wenn die AfD ihre Ziele durchsetzen kann, dann wird sie ihr wahres Gesicht zeigen.“ 

Für Schreiber ist insbesondere der Kölner Parteitag ein Wendepunkt in der Strategie der AfD. Die „realpolitische Alternative“, vertreten durch Petry und auch durch Schreiber, die insbesondere enttäuschte CDU-Wähler abholen, aber auch koalitionsfähig werden wollte, war abgewählt. Die neue Richtung heißt: Fundamentalopposition. Und ich fürchte: Diese Strategie geht derzeit tatsächlich auf. Denn allein durch ihre Forderungen verschiebt die AfD die politische Ausrichtung der anderen Parteien. So steht es im Antrag, der damals angenommen wurde:

„Öffnung des Diskursraumes in die von uns bevorzugte Richtung, und zwar so weit, dass langfristig unsere Kernpositionen als mittige Positionen des dann zur Verfügung stehenden politischen Diskursraumes erscheinen. Dazu bediene man sich „auch abseitiger Meinungen und Standpunkte, ist also möglichst offen gerade auch für Äußerungen außerhalb des bürgerlichen Korridors. Ein Verschrecken dieser oftmals mutlosen Klientel wird bewusst in Kauf genommen. (…) die Veränderung in unserem Land wird somit mittelbar über veränderte Standpunkte der Wettbewerber im Parteienspektrum angestrebt und nicht über die Stärkung der eigenen Machtbasis.“

An diesem Punkt, und an der immer deutlicher werdenden rechtsradikalen und auch antijüdischen Tendenzen, kam Franziska Schreiber zu dem Schluss, austreten zu müssen. Und sie stellt fest: Auf einmal ist Deutschland wieder schön. 

„Ich lebe nun wieder in einem neuen Umfeld, in dem ich langsam zur ruhe komme. Ich habe mich erholt von der Wut, dem Zorn und der Angst – auch vor den eigenen Leuten –, die ich buchstäblich in mich hineingefressen hatte. Das Warten auf den Kollaps verschwand, Angst und Frustration ließen nach. Innerhalb von Tagen schlief ich besser, war viel ruhiger und ausgeglichener. (…) Es war schon schockierend zu erkennen, dass die Welt nicht nur AfD-dunkel war. In meinem alten Facebook-Profil … bestanden die Neuigkeiten auf meiner Startseite nur aus Katastrophen und Skandalen … Nach wenigen Tagen mit dem neuen Profil erlebte ich eine erstaunliche Veränderung: Deutschland steht gar nicht kurz vor dem Abgrund, es passiert sehr viel Positives und Gutes, Dummköpfe gibt es überall, aber sie sind eine Minderheit.“

Auch wenn ich politisch sicher nicht mit ihr einer Meinung bin und auch glaube, dass sie Frauke Petry deutlich zu positiv und unkritisch darstellt: Das Buch bietet einen tiefen Einblick in die Strukturen der Partei, die Verstrickungen mit NPD und Konsorten und insbesondere auch in die inneren Mechanismen, die dazu führen, dass die Partei immer noch weiter und weiter nach rechts driftet. Kein Wunder, dass es auf Amazon viele negative Bewertungen bekommt von AfD-Anhängern, die dieses Buch niedermachen wollen. Aus meiner Sicht ist es ein sehr lesenswertes Buch. Auch, wenn es mir lieber wäre, ich müsste solche Bücher gar nicht erst lesen.

Hinweis: Lesung mit Franziska Schreiber

Freitag, 21.9.2018, 18 Uhr, Pfarrzentrum St. Kilian, Friedrich-Stein-Str. 30, Schweinfurt
 

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Buchinformationen

Schreiber, Franziska: Inside AFD: Der Bericht einer Aussteigerin. Gebundene Ausgabe: 224 Seiten, Europa Verlag, ISBN 978-3-9589-0203-9, 18,- € 
E-Book 12,99 €