Hex
Das 3000-Einwohner-Dorf Beek bei Nijmegen, Niederlande, birgt ein großes Geheimnis: Seit 350 Jahren erscheint die Hexe Katharina van Wyler im Dorf. Einst wurde sie hier grausamst gequält und als Hexe zum Tode verurteilt. Und seitdem erscheint sie im Dorf. Eine gruselige Gestalt: Ketten um den Leib, Augen und Mund zugenäht, so steht sie stunden- ja tagelang irgendwo im Dorf herum. Auf einem Parkplatz. Neben einem Bett. In einer Küche. So weit eigentlich nicht so schlimm, solange man ihr nicht zu nahe kommt und ihr Flüstern hört, das schon manche Menschen in den Tod getrieben hat. Und solange man ihr nichts antut – von den Ereignissen damals, 1967, erzählen die Menschen noch heute voller Grauen. Auch ihre Augen sollte nie jemand öffnen, denn das, so die Überlieferung, wäre das Ende aller Menschen im Ort.
Wer hier geboren ist oder wer einmal nach Beek gezogen ist und die Hexe gesehen hat, der kann nie wieder länger als ein paar Tage von hier weg. Das ist der Fluch, der über dem Dorf liegt. Und so versuchen die Bewohner, alles zu tun, um die Außenwelt vor Katharina zu schützen. Sie haben eine eigene App, eine Sonderabteilung des Geheimdienstes mit dem passenden Namen „Hex“ arbeitet hier, alles, um nichts nach außen dringen zu lassen. So ahnt wirklich niemand etwas von der Besonderheit dieses Ortes.
Manche Situation mit der Wylerhexe ist wirklich urkomisch. Der erste Teil des Buches scheint harmlos zu sein, lustig, manchmal ein kleines bisschen gruselig. Doch die Jugendlichen des Dorfes haben genug von der Heimlichtuerei und vor allem auch von den Einschränkungen, unter denen sie leben müssen. Und nach und nach wandelt sich die Stimmung. Es wird gefährlicher. Dunkler. Ein Hund kommt auf mysteriöse Weise ums Leben.
Ganz langsam bricht das Grauen über Beek herein. Die Menschen haben Todesangst davor, dass eines Tages Katharinas todbringendes Auge wieder geöffnet wird. Und die Schicht der Zivilisation ist dünn. Es ist erschreckend und doch nachvollziehbar, wie schnell in der Todesangst mittelalterliche Bräuche und Gedanken wieder zum Leben kommen. Die alten Marterinstrumente werden aus dem Museum geholt. Folter, lebendige Opfer, Lynchjustiz: Alles ist ganz schnell wieder da. Und die ersten Menschen sterben.
Dann, kurz vor Weihnachten, dreht das ganze Dorf komplett durch. Jemand öffnet die Augen der Hexe. Menschen verbrennen Menschen, Häuser und mehr. Die Zivilisation ist am Ende.
Und auf einmal ist gar nicht mehr klar: Ist das das Werk der Hexe? Oder ist es das Dorf, das das ganze Unheil selbst über sich gebracht hat? Wer hat eigentlich angefangen mit diesem ganzen Unheil? Wer hat das wirklich gewollt? Woher kommt all das Böse, das in diesem Buch durchbricht und die Menschen beherrscht? Das ist die Frage, die am Ende offen bleibt.
Ein wirklich spannendes Buch, das ich nicht mehr weglegen konnte. Mit einigen komischen Momenten, die mich wirklich zum Lachen gebracht haben. Doch spätestens das letzte Drittel ist nichts für schwache Nerven.
Für die englische Übersetzung und alle weiteren hat der Autor die Handlung ins amerikanische Black Spring im US-amerikanischen Hudson Valley verlegt und dabei auch etliche historische Gegebenheiten angepasst. Dazu gab es dann auch noch ein neues Ende, das „subtiler“ ist als das erste, so der Autor im Nachwort. Gelesen habe ich nun die gewissermaßen dritte Version des Buches: Auf Niederländisch am „Originalschauplatz“, aber mit dem neuen, „internationalen“ Schluss. Die deutsche Version ist übrigens aus dem Amerikanischen übersetzt. Wie gut sie ist, kann ich nicht beurteilen.
Buchinformationen
Thomas Olde Heuvelt: Hex. Heyne Verlag, 432 Seiten, ISBN 978-3-4533-1906-6,