Predigt: Wer suchet, der findet
Meine erste Predigt im Homiletik-Seminar
Bonn, Sonntag Rogate 1993
Text: Lukas 11, 5-13
Liebe Gemeinde!
In einer kleinen sizilianischen Gemeinde herrschte seit Wochen große Trockenheit. So schickte die Gemeinde eine Abordnung zum Pfarrer. Die sollte ihn bitten, Bittgebete zum Himmel zu senden, um die Ernte zu retten. Der Pfarrer rief: "Oh ihr Ungläubigen! Da macht ihr den langen Weg zur Kirche, damit ich Gott um Regen bitte. Aber keiner von euch hat einen Regenschirm dabei für den Heimweg!"
Beten kann ja nicht schaden, haben sich diese Abgeordneten wohl gedacht. Aber nützen kanns wahrscheinlich auch nicht. Man machts halt mal vorsichtshalber.
Lukas überliefert uns, was Jesus zu diesem Thema gesagt hat. Da ist nicht die Rede von "Schaden kanns ja nichts". Nach Jesus hätten die Gemeindeglieder wohl wirklich einen Regenschirm mitnehmen müssen. Lk. 11,5-13:
Nachdem er seine Jünger das Vaterunser gelehrt hatte, sprach er zu ihnen: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: "Lieber Freund, leih mir drei Brotfladen! Denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann", und der drinnen würde antworten und sprechen: "Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben." Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf.
Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn jeder, der bittet, empfängt, und wer da sucht, der findet, und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete?
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater, der vom Himmel gibt, den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!
"Wer suchet, der findet"? "Jeder, der bittet, empfängt"? So ein Quatsch. Das stimmt doch gar nicht. Geht ja auch nicht: Die Touristenfamilie bittet Gott um schönes Wetter, die Bauern um Regen. Was soll Gott da machen? Er ist doch auch kein "Pray-O-Mat", wie eine Karikatur von Küstenmacher es zeigt: "gute Werke hier einwerfen - hier beten - Erfüllung hier entnehmen".
"Wer suchet, der findet." Wie viele Menschen gibt es, die auf der Suche sind, gerade in unserer Zeit, aber Gott finden sie nicht, sie resignieren oder wenden sich anderen Religionen zu. Ich denke an einen Menschen, mit dem ich einmal geredet habe. Nennen wir ihn Herr Schmidt. Herr Schmidt hatte ein gutes Verhältnis zu Gott. Jeden Sonntag ging er in die Kirche, engagierte sich in der Gemeinde, war im Kirchenvorstand. Er war glücklich verheiratet, sie hatten eine Tochter. Dann kam seine Frau ins Krankenhaus, fühlte sich nicht wohl, hatte Schmerzen. Die Diagnose: Krebs. Lang hat sie nicht gelitten. Sie starb drei Monate später. Auf einmal war alles weg. Alles, was Herrn Schmidts Leben ausgemacht hatte. Nur noch seine Tochter blieb ihm, 17 Jahre alt damals. Sie war ihm der einzige Trost. Jung war sie. Vital war sie. Intelligent war sie. Hilfsbereit war sie. Tolerant war sie.
In einer großen Kurve stießen die Autos zusammen. Nach ein paar Stunden im Krankenhaus war sie tot. 18 Jahre war sie. Und jetzt?
Nichts blieb Herrn Schmidt mehr. Wie sollte er noch an Gott glauben? Und doch suchte er nach ihm, ging weiter in die Kirche, versuchte zu beten. Aber die Worte der Prediger waren leere Worte für ihn. Er war innerlich tot, und sie vermochten ihn nicht zum Leben zu erwecken. Er ging weiter zur Kirche, in der Hoffnung, daß Gott ihn einmal ansprechen würde. Seit 15 Jahren geht er hin. Weiß eigentlich nicht mehr, warum. Hoffnung hat er keine mehr, daß sein Leben nochmal einen Sinn bekommen könnte.
"Wer suchet, der findet"?
Jesus sagt das einfach so. Und er weiß doch bestimmt auch von Menschen wie Herrn Schmidt, davon, daß manche doch ganz offenbar nicht finden, nichts kriegen, daß ihnen nicht aufgetan wird. Bestimmt weiß er das. Und genauso bestimmt sagt er uns: Vertraut auf Gott. Bittet ihn, egal was, egal wann. So wie der Freund, der mitten in der Nacht mit seiner Bitte kommt, der die ganze Familie aufweckt, weil ja alle im selben Raum schliefen. Dieser Freund war sich ganz sicher: Er bekommt, was er will. Er bekommt das, was er braucht. Und wenn ich Gott um etwas bitte, dann darf ich mir genauso sicher sein, daß ich nicht eine Schlange bekomme, wenn ich einen Fisch möchte, nicht etwas Schädliches kriege, wenn ich ihn um etwas Gutes bitte. Daß Gott mich nicht im Stich läßt, wenn ich so verzweifelt bin wie Herr Schmidt.
So ein Vertrauen müßte man haben. Das fehlt mir oft. Aber wahrscheinlich kommt das auch nicht von allein. Beten muß man üben, genau wie Singen. Das geht auch von allein, aber je mehr ich singe, desto sicherer werde ich.
Ich muß zugeben: In letzter Zeit habe ich beides ziemlich vernachlässigt, das Beten wie das Singen. Da muß ich wohl nochmal von vorne anfangen. Und wie beim Singen, wo man erstmal mit kleinen Übungen anfängt - z.B. "no-no-no-no-no"- gibt es so kleine Übungen ja auch fürs Gebet. Ein regelmäßiges Tischgebet wäre vielleicht so eine Übung, die manchmal auch schon schwer genug sein kann. In der Mensa kommt es schon mal vor, daß man da schief angeschaut wird.
Singen kann man durch die entsprechende Haltung unterstützen, dann geht es oft leichter. Das ist beim Beten auch nicht anders. Das Händefalten als Binden der Hände, das Emporheben der Hände zum Zeichen der Empfangsbereitschaft, oder auch das Niederknien als Ausdruck der Unterwerfung unter Gottes Willen können oft wirklich hilfreich sein.
Aber trotz all dieser äußeren Hilfen weiß ich dann oft doch nicht, was ich beten soll. Auch die Jünger bitten Jesus am Anfang unseres Kapitels: Herr, lehre uns beten! Jesus gibt ihnen und uns das Vaterunser als Hilfestellung. Und dann sind da ja noch die Psalmen der Bibel, die mir manchmal helfen, die auch von Not und Zweifeln sprechen und aus denen trotzdem ein starkes Vertrauen spricht. Und nicht nur das Gesangbuch der jüdischen Gemeinde kann mir helfen, sondern auch unser eigenes Gesangbuch. Ob das nun ein Lied ist, das ich spreche oder singe - vielleicht für Herrn Schmidt die Nr. 289, schlagt es ruhig mal auf: "Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not; der kann mich allzeit retten aus Trübsal, Angst und Nöten, mein Unglück kann er wenden, steht alls in seinen Händen." Ob es so ein Lied ist, oder ob ich hinten im Gesangbuch die Gebetshilfen aufschlage, zum Beispiel ab S. 1031, wo Anregungen für jeden Tag der Woche stehen. (...)
Das ist zwar nicht mehr so ganz unsere Sprache, was da steht. Aber der Vorentwurf des Neuen Gesangbuchs läßt hoffen, daß sich das ändern wird, und einstweilen können wir uns ja auch daraus Anregungen nehmen.
Wichtiger scheint es mir sowieso zu sein, Gott auch das zu sagen, was mich gerade wirklich bewegt. Wenn ich mich über den blöden Busfahrer geärgert habe, der mich beinahe angefahren hätte, wenn ich mich gefreut habe, weil meine Freundin mir einen Strauß Butterblumen gepflückt hat, wenn ich nicht mehr weiterweiß, weil meine Predigt einfach nicht fertigwird und mir nichts einfällt. Das alles kann ich Gott erzählen, wie ich es einem guten Freund erzähle. Nicht als Selbstgespräch, Reflexion über mich selber, sondern in der Gewißheit, daß Gott zuhört. Wenn ich so mit Gott rede, dann habe ich schon manchmal erfahren, daß mich so ein Gebet auch verändert hat. Daß ich plötzlich wußte, was ich tun kann, um in einer verfahrenen Situation wieder mit einem Menschen ins Gespräch zu kommen. Daß ich mich wieder frisch und unverbraucht fühlte und an eine Sache ganz neu rangehen konnte. Natürlich gibt es das auch, daß Gott nicht antwortet, oder erst nach langer Zeit, oder daß ich irgendwann einsehe: Es war doch gut so, wie es war.
Am Schluß unseres Predigttextes sagt Jesus, was das bedeutet, daß Gott unsere Gebete erhört: "Wieviel mehr wird der Vater, der vom Himmel gibt, den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!" Nicht nur "gute Gaben", wie es einfach bei Matthäus an dieser Stelle heißt, nein, das Höchste, was Gott uns geben kann: Seinen Heiligen Geist.
Was heißt das, Gott gibt den Heiligen Geist? Es gibt ein Märchen, das für mich gut illustriert, was das ist: Der Heilige Geist. Ein Mann betritt einen Laden, den er noch nie zuvor an diesem Ort gesehen hat. Er fragt den Ladenbesitzer: "Was verkaufen Sie denn hier?" und der antwortet: "Alles, was Sie sich wünschen, alles gibt es bei mir. Das, wonach Sie sich sehnen, was Sie frohmachen kann, alles biete ich an." Und der Kunde fängt an aufzuzählen: "Ich möchte Frieden auf der Welt, jeder soll genug zu essen haben, Arbeit für alle je nach Talent, Achtung vor jedem Menschen, Eltern sollen Zeit haben für ihre Kinder..." Da unterbricht ihn der Händler: "Moment mal! Sie haben mich wohl falsch verstanden. Ich verkaufe keine Früchte, nur die Samen gibts hier." So stelle ich mir den Heiligen Geist vor: Samen für all das, was wir uns wünschen, Samen, der in uns wächst wenn wir ihn pflegen, der aufgeht, wenn wir uns darauf einlassen.
Eine Vision habe ich, wie das aussehen könnte, wenn dieser Samen aufgeht. Eine Vision, was der Heilige Geist bewirken könnte. Jemand - vielleicht ich selber - sieht Herrn Schmidts Probleme, geht auf ihn zu, klopft an, immer wieder, fragt was ihn bewegt, bedrückt. Und langsam, vielleicht über Jahre hinweg, wird ihm aufgetan, öffnet sich Herr Schmidt, erzählt, was ihn bewegt, hat die Chance, mit jemand über seine Verzweiflung zu reden. Und in diesem Gespräch werden die Worte der Bibel, die leeren Formeln des Gottesdienstes für ihn plötzlich wieder lebendig. Und er beginnt wieder neu zu beten: "Gott, mein Gott! Du hast diese Welt geschaffen und mich in sie hineingesetzt. Du hast versprochen, für mich zu sorgen, mein Gebet zu hören. Warum hast dus nicht getan? Warum hast du mich in solche Zweifel gestürzt? Warum bist du so fern von mir? Ich kann nicht verstehen, warum du mir meine Familie genommen hast. Ich sehe keinen Sinn darin, Gott!
Ich bitte dich: Hilf mir! Gib meinem Leben noch einmal einen Sinn. Zeig mir Menschen, die meine Zuwendung brauchen, denen ich helfen kann, mit denen ich wieder fröhlich sein kann.
Gott, ich möchte auf dich vertrauen. Trotz allem, was mir geschehen ist, möchte ich darauf vertrauen, daß du weißt, was gut für mich ist. Dein Wille geschehe, nicht meiner."
Vielleicht kommt es eines Tages so weit, daß Herr Schmidt wieder einstimmen kann in den 30. Psalm, den wir vorhin gehört haben:
Ich preise dich, Herr; denn du hast mich aus der Tiefe gezogen und läßt meine Feinde sich nicht über mich freuen. Herr, mein Gott, als ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund. Herr, du hast mich von den Toten heraufgeholt; du hast mich am Leben erhalten, aber sie mußten in die Grube fahren.
Lobsinget dem Herrn, ihr seine Heiligen, und preiset seinen heiligen Namen! Denn sein Zorn währt einen Augenblick und lebenslang seine Gnade. Den Abend lang währt das Weinen, aber am Morgen ist Freude. Ich aber sprach, als es mir gutging: Ich werde nimmermehr wanken. Denn, Herr, durch dein Wohlgefallen hattest du mich auf einen hohen Fels gestellt. Aber als du dein Antlitz verbargst, erschrak ich. Zu dir, Herr, rief ich, und zum Herrn flehte ich: Was nützt dir mein Blut, wenn ich in die Grube fahre? Wird dir auch der Staub danken und deine Treue verkündigen?
Herr, höre und sei mir gnädig! Herr, sei mein Helfer! Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet, daß ich dir lobsinge und nicht stille werde. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Lied: 288 In dir ist Freude