Café Eulerich

Diesen uralten Text ungefähr aus dem Jahr 1995 habe ich gestern zufällig wiedergefunden. Mir gefällt er noch immer sehr gut. Vielleicht kommt demnächst noch ein weiterer.

Ein Teelicht war schuld. Es hat meine Vergangenheit zerstört. Warum nur, warum habe ich damals meine gute, alte Teekanne darauf gestellt, ohne Wasser einzugießen? Bis heute hatte sie nun einen ehrenvollen Platz in meinem Regal: Eine Teekanne mit Sprung und mit Geschichte. Doch jetzt, jetzt heißt es endgültig Abschied nehmen. Von dieser Wohnung, von dieser Kanne, von all dem, was sich für mich damit verbindet. Ich stehe vor der Mülltonne und zögere: Diese Kanne will ich wegwerfen?

Diese Kanne? Die Gedanken schweifen zurück, dorthin, wo sie täglich zuverlässig ihren Dienst getan hat...

Mein erstes Zimmer. Im Keller eines alten, hochherrschaftlichen Hauses. Die Hälfte von einem riesengroßen Schreibtisch eingenommen, noch ein uraltes, quietschendes Bett reingequetscht. Die Wände vollgestopft mit Bücherregalen, Bildern, Andenken. Durch das Fenster lockt ein großer, grüner, verwilderter Garten.

Die Abende in diesem Zimmer: Eine große Kanne Tee, über 20 Sorten zur Auswahl. Leise Musik. Fast jeden Abend Besuch, die unterschiedlichsten Typen. Manche kommen ein, zweimal die Woche, manche nur gelegentlich. Wir sitzen auf dem Bett, reden, trinken Tee, reden, reden, reden. Hier in meinem kleinen acht-Quadratmeter-Zimmer spielt sich die Welt ab. Hier verläßt einer seine Freundin, weil er sich nicht sicher ist, was Liebe ist. Hier sitzt am einen Abend eine Frau, am nächsten Abend der, den sie liebt, und beide schütten mir ihr Herz aus. Hier werden Gedichte und Lieder geschrieben, hier wird philosophiert und Politik betrieben. Hier wird gebastelt für den nächsten Kindergottesdienst und dabei eine Demo der Studierenden vorbereitet. Hier führen alle Fäden zusammen. Hier in meinem kleinen acht-Quadratmeter-Zimmer spielt sich die Welt ab. Und wir schlürfen Tee dazu und hören leise Musik.

Café Eulerich haben wir's genannt. Wer diesen Namen kennt und ihn hört, bekommt heute noch einen verträumten Blick und kehrt in Gedanken gern zurück an diesen Ort.

Und nun stehe ich hier, vor der Mülltonne, viele Jahre und hunderte Kilometer von Café Eulerich entfernt, und halte den letzten Rest dieser Zeit in Händen. Meine Teekanne mit Sprung, die jeden Abend dabei war, die stumm alle Gespräche mit angehört und stets zuverlässig ihren Dienst geleistet hat. Ein Symbol für die Sehnsucht, wieder zurückzukehren in diese acht Quadratmeter, die mein Leben und meine Freundschaften so geprägt haben. Feierlich öffne ich den Mülltonnendeckel und beerdige sie auf zwei Mülltüten. Deckel zu. Eine neue Zukunft beginnt, irgendwo ...